Mythos "Liegerad"

Über kaum ein so klares und eindeutiges Produkt wird im Internet und in der Presse zur Zeit derart viel Verwirrendes geschrieben. Da werden dann gerne die Eigenschaften der unterschiedlichen Liegeradtypen durcheinander gewirbelt, die Ansprüche normaler Nutzer mit denen spezialisierter Rennprofis vermischt und eine an sich ganz nüchterne technische Thematik mit irrationalen, gefühlten Mythen eingefärbt.

Die Geschichte des Liegerades ähnelt dabei der des Wankelmotors, des Telefaxes oder alternativer Energietechnik: Die Industrie möchte naturgemäß ihre bereits entwickelten Produkte verkaufen und kann nie an einer positiven Meinungsbildung zu Alternativprodukten interessiert sein, insbesondere dann nicht, wenn die nicht ganz so leicht herzustellen sind und hohe Investitionen in die Entwicklung bedeuten würden.

Und so wurde auch das Liegerad seit fast 100 Jahren entweder gern verschwiegen, bei offiziellen Rennen ausgegrenzt oder es mit dem bequemen Image des “sonderbaren Rades für sonderbaren Menschen” versehen.

Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht...

Das oben genannte Image wurde in den 80-90ern leider von manchen notorische “Querköpfen” dankbar aufgenommen und so schien das Liegerad auch eine gute Möglichkeit zu sein, kindlichen Protest und sein Image des verkannten Underdogs transportieren zu können. Das Liegerad wurde so schuldlos Opfer etlicher Protagonisten, die das Liegerad in seinem Schattendasein zwar öffentlich zu verteidigen schienen, in Wirklichkeit aber gar nicht daran interessiert waren - dass dieses technisch so sinnvolle Gefährt tatsächlich Thema für “alle anderen” wird.

Solche emotionalen Ambitionen hatten erfolgreiche Ingenieure und Entwickler weniger. Dort wurde sich jahrzehntelang sachlich und zielstrebig um Technik, den Alltagsgebrauch und das geniale Rades selbst gekümmert, dort wurde und wird professionell geforscht, fahrzeugtechnisch korrekt abgewickelt, mit Hilfe modernster, aufwändiger Methoden produziert und das Produkt immer weiter verbessert. Diese Räder werden heute natürlich genauso professionell über den meist hochspezialisierten Fachhandel vertrieben.

So entstanden bekannte Unternehmen wie HP Velotechnik, Hasebikes, Flux, Traix oder auch Bernd Bleckmanns Liegeradstudio (Zweirad und Zukunft) und andere - die auch mit der Wahl geeigneter, qualifizierter Spezialhändler und Servicebetriebe dafür gesorgt haben, dass diese Liegeräder zum Premiumprodukt auf dem Radmarkt wurden.

Gleichzeitig gibt es immer mehr “NoName” und Versandhandels-Produkte, meistens Kopien von diesen ausgefeilten Qualitätsrädern, die recht selten an die guten Fahreigenschaften und die herausragende Qualität der Vorbilder heranreichen, denn ein gutes Liegerad herzustellen bedeutet - anders als bei anderen Radtypen - immer noch sehr, sehr viel Erfahrung und technisches Know How.

Das Image von gestern ist tot - es lebe das Liegerad

Der heutige Liegeradfahrer entscheidet selbst und kann sich genau das leisten, was er sich leisten will. Das Liegerad wird Sinnbild einer frei ausgelebten, inneren und äußeren Mobilität des Menschen, der mit beiden Beinen auf dem Boden und im Heute steht.

Die Benutzergruppe wächst derweil unaufhörlich. Von diesen begeisterten Fahrern hört man in den Medien und im Internet und seinen Liegerad-Foren herzlich wenig - man nutzt das tolle Produkt ganz pragmatisch im täglichen Leben, schließlich hat man den spezialisierten Händler seines Vertrauens und ein nahezu perfektes Qualitätsrad.

Und die allgemein Akzeptanz steigt, denn wer heute mit einem Liegerad fährt, erntet interessierte Blicke: Irgendwas muss ja dran sein, wenn die Fahrer und Fahrerinnen immer so zufrieden und entspannt gucken und man sie dann auch nur noch von hinten sieht.

Und was ist nun an den vielen Artikeln und Meinungen dran?

Das Liegerad hat als Verkehrsmittel für jedermann eine Menge Vorzüge, es ist absolut ausgereift, gute Räder sind auch leicht zu fahren, es setzt die Muskelkraft optimal in Geschwindigkeit um und macht größere Distanzen beherrschbar, das Gefahrenpotential ist viel niedriger als bei herkömmlichen Fahrrädern.

Es bedeutet auch für etliche gehandicapte Personengruppen (Reha) eine selbstbestimmte Mobilität, die mit normalen Rädern so einfach nicht erreicht werden könnte.

Liegeräder sind natürlich keine Eierlegende Wolfsmilch Sau: Sie müssen individuell angepasst werden, sind etwas aufwändiger als herkömmliche Räder, außer Karts und Trikes sind Liegeräder fürs Crossfahren über Stock und Stein nicht unbedingt geeignet. Wer nur kleine Strecken “zum Bäcker um die Ecke” fährt, für den ist es vielleicht etwas kostenintensiv und es ist eine gewisse Mindestqualität notwendig, wenn es denn wirklich Spaß machen und zum vollwertigen Verkehrsmittel werden soll.

Das Liegerad passt ganz genau in die heutige Zeit

Unter dem Aspekt, dass der statistische Arbeitsweg von etwa 10 KM von 80% der Berufstätigen mit Kraftfahrzeugen zurückgelegt wird, erscheint ganz besonders das Liegerad als zeitgemäße Lösung der immer höheren Energiekosten und der Umweltprobleme.

Wer pro Tag 10-50 KM mit dem KFZ fährt, könnte das auch fast so bequem mit dem Liegerad absolvieren, damit viel Geld sparen und damit gleichzeitig ohne großen Zeitaufwand etwas für Körper, Geist und Seele tun.

Besonders für viele bisherige “Nichtradfahrer” sind das derzeit immer interessantere Argumente.

(jw)