Liegerad Historie: Konstruktion
Die Geschichte des Liegerades (auch „Liegefahrrad“ genannt) ist faszinierend und reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück und durchlebte etliche Phasen großer technischer Innovation und sportlicher Relevanz.
Die geniale Idee des Liegerades wurde ab den 1970ern von Radtechnikern und der professionellen Radszene wieder neu aufgegriffen und weiterentwickelt.
Es wurde viel gebastelt, aber einige der neuen Pioniere gingen die Konstruktion und Fertigung eben auch absolut hochprofessionell an - die heutigen großen Anbieter stammen fast alle aus dieser Zeit und die Räder sind heute entsprechend ausgereifte HighTech-Produkte in Serienfertigung in verschiedensten, individuellen Ausstattungen.
Liegeräder und Trikes sind definitiv im Heute angekommen.
Die Historie
1860er – Erste Ideen & Konzepte
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1869 – Charles Challand (Frankreich)
- Erste bekannte Zeichnungen eines Fahrzeugs mit zurückgelehnter Sitzposition.
- Noch keine Serienfertigung, aber ein Vorläufer des Liegerad-Gedankens.
Hintergrund: In dieser Zeit waren Hochräder üblich – gefährlich, unkomfortabel und schwer zu fahren.
Die Idee einer tieferen, stabileren Sitzposition entstand als logische Weiterentwicklung.
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1890–1920 – Frühformen und Experimente
Einige Erfinder bauen experimentelle Fahrräder mit alternativen Sitzpositionen.
- Ferdinand Kindermann (Deutschland) entwickelte ein „liegendes“ Fahrrad mit Tretkurbeln hinter dem Sitz.
- Meist Einzelstücke, wenig praktische Anwendung.
- Keine nennenswerte Verbreitung – der klassische Diamantrahmen setzte sich durch.
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1920er – Beginn der modernen Liegeradentwicklung
Charles Mochet (Frankreich):
- Entwickelt das „Vélo-Vélocar“ – zuerst ein vierrädriges Pedalfahrzeug für Kinder.
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1925: Das „Vélocar“ wird zweirädrig – ein echtes Liegerad!
Konstruktion:
- Liegeposition, kurzer Radstand, Lenker unter dem Sitz (unterlenker).
- Sehr niedrig gebaut – aerodynamisch und bequem.
Ziel: Alltagstaugliches Fahrzeug für jedermann.
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1933 – Durchbruch im Radsport
Francis Faure (französischer Rennfahrer):
- Wechselt vom Rennrad auf das Liegerad von Mochet.
- Schlägt etablierte Radrennfahrer bei Straßenrennen.
- 7. Juli 1933: Bricht den Stundenweltrekord mit 45,055 km/h auf einer Bahn.
- Rekord zuvor: 44,247 km/h (Oscar Egg, 1914 auf einem klassischen Rennrad).
> Der Erfolg des Liegerads wird als Bedrohung wahrgenommen – das klassische Rennrad könnte „veraltet“ wirken.
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1934 – Verbot durch die UCI
Die Union Cycliste Internationale (UCI) ändert ihr Reglement und legt präzise fest, wie ein Fahrrad für Wettbewerbe auszusehen hat:
- Tretkurbel muss sich unterhalb und zwischen den Rädern befinden.
- Bestimmte Maße für Sattel und Lenker.
> Liegeräder sind damit vom offiziellen Radsport ausgeschlossen.
> Ziel: Schutz der etablierten Rennradindustrie und Fairness – aber auch Innovationshemmnis.
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1935–1970 – Nischenexistenz & Stillstand
- Liegeräder verschwinden weitgehend von der Bildfläche.
- Einige unbeirrbare Bastler und Kleinstfirmen produzieren vereinzelt Modelle.
- Kein großes öffentliches Interesse – Diamantrahmen dominiert weiter.
- In dieser Zeit verfestigt sich das Bild des Liegerads als „Kuriosität“.
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1970er – Wiederentdeckung durch Enthusiasten
- Umweltbewegung, Ölkrise und wachsendes Interesse an alternativer Mobilität fördern neue Ideen.
- Hobbybastler in den USA, Deutschland, Großbritannien bauen Liegeräder.
- Erste Clubs und Foren entstehen (z. B. IHPVA – *International Human Powered Vehicle Association*).
> Wichtige Idee: Menschliche Kraft optimal nutzen – Liegeräder bieten aerodynamische Vorteile.
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1980er – Technischer Durchbruch
Neue Materialien (Aluminium, später Carbon) ermöglichen leichtere, stabilere Rahmen.
Entwicklung unterschiedlicher Typen:
- Kurzlieger (kurzer Radstand, Tretlager vor dem Vorderrad)
- Langlieger (langer Radstand, ruhiges Fahrverhalten)
- Trikes (dreirädrige Liegeräder: Delta = 1 vorne, 2 hinten / Tadpole = 2 vorne, 1 hinten)
- Vermehrt organisierte Rennen: z. B. „World Human Powered Speed Challenge“ in Battle Mountain (USA).
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1990er – Breitere Verfügbarkeit
Kommerzielle Hersteller vornehmlich in Deutschland entstehen:
- HP Velotechnik, Haase Bikes, Zweirad & Zukunft
- Challenge Bikes, Optima, Bacchetta, u. v. a.
- Verbreitung im Tourenbereich: Langstreckenradler schätzen Komfort und Effizienz.
- Zunahme von Spezial-Zubehör (Taschen, Verkleidungen, Federungen).
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2000er – Diversifizierung & Velomobile
- Velomobile werden populärer: vollverkleidete Liegeräder mit Wetterschutz.
- Kombination aus Fahrrad, Auto und Designobjekt.
- Weiterentwicklung von Liegedreirädern für Senioren und Menschen mit Behinderung.
- Erste E-Liegeräder kommen auf den Markt – besonders relevant für Pendler.
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2010er–heute – Nische mit Hightech
Liegeräder bleiben ein immer beliebteres Nischenprodukt, aber:
- Große Community, insbesondere in Deutschland, den Niederlanden und den USA.
- High-Speed-Räder mit Weltrekordversuchen (über 140 km/h rein mit Muskelkraft).
- Wettbewerbe wie Battle Mountain (Nevada): Spezialisierte aerodynamische Liegeräder.
> Top-Speed-Rekord (HPV): 144,17 km/h von Todd Reichert im "Eta" Velomobil (2016).
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Zukunft
- Weitere Integration mit Elektromotoren und elektronischen Schaltungssystemen, Solarenergie, Leichtbaumaterialien.
- Wachsende Bedeutung im Bereich nachhaltiger Mobilität und für Menschen mit besonderen Anforderungen.
- Immer wieder Thema in Zukunftskonzepten urbaner und ländlicher Mobilität.
Es bleibt also spannend - sei dabei!
© 2012 jw


